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Tanzende Stimmen

Veröffentlicht am 10.07.2024

  • Interview

Interview mit Alessandro Sciarroni

Alessandro Sciarroni, Associated Artist von CENTEQUATRE – PARIS und Triennale Milano Teatro, ist ein Künstler, der sich für den Körper in all seinen menschlichen und künstlerischen Facetten interessiert. Bei Tanz Bozen zeigt er das jüngste Ergebnis seiner Forschungsreise: eine Arbeit über die Singtradition im Chor, die auch heute noch überraschend lebendig ist.

Woher kam die Idee, sich mit der italienischen Chortradition zu beschäftigen?
Ich wurde vor einiger Zeit von der Cartier Stiftung angefragt, gemeinsam mit dem französischen Musiker und Komponisten Alexis Paul ein Event zu kuratieren. Wir luden zu diesem Anlass verschiedene Chöre aus ganz Europa ein, die an den Veranstaltungsorten der Triennale di Milano a cappella sangen. Darunter waren zwei Ensembles, die mich besonders gepackt haben: der Männerchor Voci dalla rocca und der gemischte Kinder- und Jugendchor Piccoli Cantori della Brianza. Damals durfte ich viele großartige Stücke aus der Chorliteratur kennenlernen, die mir bis dahin verborgen geblieben waren.

Sie haben über ein Jahr nach den richtigen Interpret:innen gesucht. Wonach genau haben Sie für Ihr Bühnenstück gesucht
Was ich wollte, waren ausgezeichnete Sängerinnen und Sänger, die aber auch eine große Flexibilität mitbringen: schauspielende, tanzende Sänger:innen, die das ganze Spektrum abdecken. Ich suchte nach Menschen, die sich auf Experimente einlassen. Es hat sich herausgestellt, dass die Chorlandschaft in Italien unendlich viele interessante Künstlerinnen und Künstler bereithält. Da war es nicht leicht, eine Auswahl zu treffen.

Wer waren auf dieser Entdeckungsreise zur Singtradition Ihre Wegbegleiter?
Vor allem Piercarlo Gatti und Floranna Spreafico. Aber auch die Chorleiterinnen und Chorleiter der Ensembles, die mir damals in Mailand die Arbeiten verschiedener Komponist:innen vorgeschlagen haben. Für die Arrangements und die Arbeit mit den Chören habe ich mich wieder an die Komponistin und Performerin Aurora Bauzà gewandt, sowie an den Körperkomponisten Pere Jou.

Wie ist U. musikdramaturgisch aufgebaut?
Rund um die Komponisten Renzo Bertoldo, Piercarlo Gatti, Bepi de Marzi, Angelo Mazza und Giorgio Susana. Die ausgewählten Lieder stammen alle aus der Zeit zwischen 1968 und 2019, ein Repertoire also, das im vergangenen Jahrhundert wurzelt und bis in die heutige Zeit reicht. Was mich besonders begeistert hat, waren die Liedtexte, die von der Beziehung zwischen Mensch und Natur oder Werten wie Barmherzigkeit, Vergebung oder Mitleid handeln. Sie lehren uns, dass wir Menschen das Geheimnis der Existenz nie ganz lüften werden.

Gibt es eine Verbindung zwischen dem neuen Stück U. und dem bereits mehrmals bei unserem Festival gezeigten FOLK-S?
Wir haben uns für das neue Stück in ganz Italien umgehört, aber natürlich beziehen sich die Lieder von den Bergen auf reale Orte und Klänge, die jenen aus FOLK-S ähnlich sind. Die Konzepte hinter beiden Stücken sind jedoch völlig andere.

Sie haben in der jüngeren Geschichte des Festivals eine tragende Rolle gespielt. Was bedeutet Ihnen dieser Ort und dieses Festival, speziell unter der Leitung von Emanuele Masi?
Zuallererst hat das Festival neue Möglichkeiten eröffnet, zum Beispiel, was die Auswahl der Veranstaltungsorte betrifft, aber auch weit darüber hinaus. Tanz Bozen hat zahlreiche meiner Stücke auf die Bühne gebracht, vor allem aber konnte ich FOLK-S zum ersten Mal hier präsentieren und das Stück sozusagen an den Ort seiner traditionellen Herkunft zurückführen. Im Rahmen der Aufführungen und Workshops, die im Museion stattfanden, konnte ich es auch der Bevölkerung näherbringen. Emanuele Masi initiierte und vertiefte die Zusammenarbeit mit Marta Ciappina, wodurch ich mich erstmals mit einem klassischen Stück beschäftigte. Außerdem durfte ich hier während der Produktionsphasen viele schöne Wochen verleben. Für mich ist Bozen ein Ort der Inspiration, der Reflexion und Intuition.

Mittwoch, 24. Juli, Waltherhaus, 21.00 Uhr
Alessandro Sciarroni
U.