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Der Körper ist eine empfindliche Hülle

Veröffentlicht am 17.07.2024

  • Interview

Age of Content ist der Sensationserfolg der laufenden Saison und das jüngste Werk des wohl angesagtesten Kollektivs unserer Zeit: (LA)HORDE, das aktuell auch die Leitung des legendären CCN Ballet national de Marseille innehat. Die drei Künstler, die für diesen Megaerfolg verantwortlich sind – Marine Brutti, Jonathan Debrouwer und Arthur Harel – sind als Choreografen, aber auch in der Modewelt, beim Film und in der Werbebranche heißbegehrt. So zeichnen sie zum Beispiel für die Choreografien von Madonnas jüngster Tournee verantwortlich.

Wie kann man sich die Entstehung Ihrer Bühnenspektakel vorstellen, schließlich haben Sie ja sowohl bildende Kunst als auch Tanz studiert.

Wenn wir eine Choreografie schreiben, ist das wie ein Film: Zuerst legen wir thematische Kapitel fest, danach entwickeln wir mit den Tänzerinnen und Tänzern im Studio einen Tagesplan. Wir betrachten den Tanz als Vehikel für unsere Gedanken, als Medium der Reflexion. Der Körper ist eine sensible Hülle, die auf unsere heutige Welt voller Poesie, Gewalt, Sinnlichkeit und Sexualität reagiert. Ganz so wie die Bilder, durch die wir auf unseren Smartphones scrollen.

Auf welcher Bilderwelt basiert Age of Content?

In diesem Stück kommen mehrere Bilder ins Spiel. Eingangs wird gezeigt, wie die Gewalt aus Videos, die sich im Internet und in den sozialen Medien verbreiten, zum Spektakel wird. Im zweiten Bild des dreiteiligen Stücks liegt unser Fokus auf Avataren und NPCS, also Nicht-SpielerFiguren in Videospielen, die der Spieler selbst nicht kontrollieren kann.

Welche Videospiele haben sie für das Stück ausgewählt und wie sah Ihre Zusammenarbeit mit den Tänzerinnen und Tänzern aus?

Wir haben bei der Arbeit gespielt wie die Kinder: einander Geschichten erzählt, uns herausgefordert, geschubst und experimentiert. Das Videospiel, mit dessen Bildern wir arbeiten, ist Grand Theft Auto (GTA), aus ästhetischen Gründen, aber auch wegen der Verbindungen zu unserer Gesellschaftskritik. Als Ausgangspunkt haben wir uns folgende Frage gestellt: Wie kann ein Tänzer die Erfahrung mit dem eigenen Körper in die Darstellung einer falschen, virtuellen Figur übertragen? Der Weg, der sich daraus ergab, war emotional äußerst schräg. Was uns zusätzlich zu diesem Bild inspiriert hat, war die TV-Serie Westworld, die von Robotern handelt, die gar nicht wissen, dass sie welche sind.

Was wird im dritten Bild des Stücks gezeigt?

Nach dem Besuch einer Performance-Ausstellung im Chaillot-Theater, die den Titel We Should Have Never Walked on the Moon trug, ein berühmter Satz von Gene Kelly, haben wir uns mit den amerikanischen Filmkomödien der 1930erJahre auseinandergesetzt und uns die politischen Themen angesehen, die beispielsweise in der West Side Story oder in Ein Amerikaner in Paris aufgegriffen werden. Diese Bezüge verknüpfen wir im dritten Bild mit Lucinda Childs, mit der wir bereits seit 2017 einen regen Austausch pflegen. So entlädt sich das dritte Bild eine Viertelstunde lang zur Musik von Philipp Glass, die alles verschmelzen lässt. Wenn man es zusammenfassen wollte, kann man den ersten Aufzug als bagarre (dt. etwa Krawall, Rauferei) bezeichnen, im zweiten verstricken sich transhumane Avatare in fleischliche Beziehungen und im dritten geht es abstrakter zu, mit geometrischen Tanzfiguren, die viele Tanzmotive aus Social-MediaTrends aufgreifen, etwa Kiki Challenges oder die Moves von Doja Cat.